Marathons

The Speed Project: Die knallharte Realität des Ultralaufs


Wir haben mit Holly Stables – der Zweitplatzierten des diesjährigen Speed Project gesprochen – nachdem sie die unglaublichen ~500 km von L.A. nach Las Vegas in 87 Stunden bewältigt hat.

Ultraläufe haben in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen, aber manchmal sehen wir nicht das ganze Bild. Das Gute, das Schlechte oder manchmal auch das Hässliche.

Wir haben Holly die Fragen gestellt, die die ganze Wahrheit hinter dem Ultralauf enthüllen und auch, was man braucht, um das Speed Project zu absolvieren – eine Herausforderung, die man normalerweise in einer 6er-Staffel anstatt als Einzelperson angeht.

Warum also das Speed Project?ㅤ

2019 erhielt ich von Nils Arend, dem Gründer von The Speed Project, eine Einladung zur Teilnahme an dem legendären Rennen von LA nach Las Vegas. Damals lehnte ich höflich ab. Eine solche Distanz zu laufen, war nichts, was ich mir auch nur ansatzweise vorstellen konnte - es war einfach nicht auf meinem Radar.

Während der Veranstaltung im letzten Jahr hat sich aber etwas verändert. Ich fühlte mich völlig in den Bann gezogen. Ich sah mir alles genau an und konnte einfach nicht mehr aufhören, daran zu denken.

Natürlich ist das Ja-Sagen der einfache Teil. Man geht die Verpflichtung ein und dann wird es einem schlagartig bewusst: Worauf habe ich mich hier eingelassen? Aber die Planung begann, und ehe ich mich versah, sind zwölf Monate wie im Flug vergangen. Plötzlich stand ich an der Startlinie und war bereit, etwas in Angriff zu nehmen, von dem ich mal glaubte, dass es mir nicht gelingen würde.


Wie hast du dein Team ausgewählt, um diese Herausforderung zu meistern?

Ich hatte von Anfang an eine klare Vorstellung davon, wen ich in meinem Team haben möchte. Es hat sich alles sehr schnell und instinktiv zusammengefügt.

An erster Stelle stand mein Mann Pete. Er ist bei allem mein Partner und von dem Moment an, als ich zum Speed Project eingeladen wurde, war er voll dabei. Er wollte mich nicht nur unterstützen - er wollte mitmachen und die Zügel als Kapitän in die Hand nehmen. Pete kennt mich besser als jeder andere. Er hat mit mir unzählige Rennen und schwierige Momente durchgestanden und weiß genau, wie er mit mir umgehen muss, wenn es schwierig wird. Seine Rolle war nicht nur wichtig - sie war entscheidend dafür, dass all dies überhaupt möglich wurde.

Ich wusste auch sofort, dass ich diese Erfahrung richtig dokumentieren möchte. Ich habe schon immer gerne Geschichten geschrieben und diese Reise wollte ich auf jeden Fall festhalten. Da kam Peter Hochhauser, mein langjähriger Freund und Filmemacher, ins Spiel.

Dann war da auch noch Jake Baggaley. Als wir uns kennenlernten, war ich von seiner ruhigen, freundlichen Ausstrahlung beeindruckt. Wir hatten noch nicht viel Zeit miteinander verbracht, aber ich hatte das Gefühl, dass er ein wichtiger Teil des Teams sein würde - und das war er auch.

Außerdem brauchte ich noch einen Pacemaker und es stand außer Frage, dass es Gary House sein musste. Gary ist ein guter Freund, der schon früher bei 160-km-Läufen für mich das Tempo gemacht hat. Er hat diese lockere, witzige Energie, die genau das ist, was ich brauche - jemand, der sich selbst oder mich nicht zu ernst nimmt.

Wie trainiert man für eine derartige Herausforderung?

Etwa fünf Monate vor dem Rennen habe ich begonnen, mein Training speziell auf das Speed Project Solo auszurichten. Davor steckte ich mitten in der Marathonvorbereitung, sodass die Umstellung nicht allzu drastisch war.

Die größte Veränderung war, dass ich eine meine wöchentlichen Tempoläufe gestrichen habe. Stattdessen habe ich jede Woche eine konsequente Tempo- oder Schwelleneinheit durchgeführt - in der Regel etwa 16 km bei gleichmäßiger, starker Anstrengung.

Bei den langen Läufen konzentrierte ich mich darauf, das Volumen an den Wochenenden allmählich zu erhöhen, auch wenn ich nie mehr als 40 km in einer einzigen Einheit lief. Ich wusste, dass mich ein solches Pensum eher kaputtmachen als aufbauen würde und es war mir wichtig, meine Beine nicht zu stark zu beanspruchen.

Krafttraining war nicht wegzudenken. Ich hielt mich an zwei Sitzungen pro Woche – wie ich es immer tue – und konzentrierte mich dabei auf die Kraft des Unterkörpers, die Stabilität des Rumpfes und die Belastbarkeit der Sehnen. Diese Grundlage hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich verletzungsfrei und widerstandsfähig geblieben bin.

In der Rennvorbereitung habe ich einige 80-km-Rennen eingeplant, um lange Anstrengungen zu simulieren und auch einige kürzere Rennen, um den Überblick zu behalten. Etwa sechs Wochen vor dem Rennen hab ich dann mit dem Hitzetraining begonnen - etwas, von dem ich wusste, dass es für die Bedingungen in der Wüste entscheidend sein würde. Ich hab zweimal pro Woche einen kompletten Skianzug getragen - Mütze, Handschuhe, Schichten - auf dem Laufband!

Meine wöchentliche Gesamtkilometerleistung lag zwischen 100 und 145 km, wobei ich in meiner Spitzenwoche 145 km geschafft habe. Ich weiß, dass einige andere Sololäufer ein viel höheres Pensum absolviert haben, aber ich habe mich für ein Training entschieden, bei dem Beständigkeit, Nachhaltigkeit und Verletzungsfreiheit im Vordergrund stehen - und ich glaube, das hat sich auch ausgezahlt.

Wie war der Start? Wie hast du dich gefühlt, als dir bewusst wurde, was dir bevorsteht?

Das Rennen begann um 4 Uhr morgens - für meine Verhältnisse sehr früh, aber nicht zu unangenehm, da ich mich noch locker an die englische Zeit hielt.

Es gibt keine traditionelle Startlinie. Keine Zeitmessmatten, keine Banner, keine Zuschauermenge. Nur ein ruhiger Moment unter dem kultigen Santa Monica Pier-Schild und die Erkenntnis, dass wir im Begriff waren, etwas wirklich Wildes zu beginnen: eine 500 Kilometer lange Reise nach Las Vegas.

Um ehrlich zu sein, hatte ich keine wirkliche Ahnung, worauf ich mich eingelassen hatte. Aber das ist ja das Schöne daran - keiner von uns wusste es wirklich. Der Start fühlte sich surreal an. Er war zu gleichen Teilen einschüchternd und aufregend.

Was die Erfahrung noch eindrucksvoller machte, war die Gruppe, mit der ich an den Start ging - 41 Läuferinnen und Läufer, die meisten davon Frauen, die sich dieser gewaltigen Herausforderung alleine stellten.

Das Seltsamste am Start? Jeder läuft in eine andere Richtung. Da es beim Speed Project keine feste Route gibt, suchen sich die Läufer ihre eigenen Wege. Einige gingen nach links, andere nach rechts, ein paar geradeaus. Schon nach den ersten Kilometern war ich völlig allein und lief durch die ruhigen Straßen von Downtown LA.

Gab es unerwartete Herausforderungen?

Als ich mich auf das Speed Project Solo vorbereitete, habe ich wirklich glaubt, dass die größten Herausforderungen in der Logistik liegen würden - nicht im Laufen selbst. Wie sich herausstellte, war die wahre Herausforderung aber die Hitze mit Temperaturen, die auf fast 40 °C anstiegen.

In den ersten beiden Tagen fiel es mir unglaublich schwer, etwas zu essen. Mein Magen hat einfach nicht mitgespielt. Ich wusste, dass ich mit meiner Ernährung im Rückstand war. Und wenn das einmal passiert, ist es schwer, sich wieder heranzuarbeiten. Am dritten Tag war ich erleichtert, dass ich endlich wieder Lust auf Essen hatte - vor allem auf Eiweiß, das mein Körper offensichtlich dringend benötigte, da er unter der Anstrengung zusammenzubrechen begann.

Schlafentzug war eine weitere große Hürde. Ich hatte noch nie zuvor mit so wenig Schlaf operiert. Am ersten Tag bekam ich etwa 3 Stunden und 45 Minuten Schlaf. In der nächsten Nacht waren es eher 3 Stunden. In der dritten Nacht schaffte ich nur noch 2.

Die schiere Entfernung von 500 Kilometern war auch für mich überwältigend. Zuvor war ich höchstens 170 km weit gelaufen. Der Versuch, das fast Dreifache zu bewältigen - vor allem bei extremer Hitze und mit minimalem Schlaf - war psychisch anstrengend. Ich kam damit zurecht, indem ich das Rennen in Abschnitte unterteilte, die zwischen 10 und 30 km auseinander lagen. Ich konzentrierte mich nur auf die Strecke, die vor mir lag. Wenn ich meine Gedanken auf das große Ganze richtete, geriet ich in Panik. Die einzige Möglichkeit, damit umzugehen, bestand darin, in der Gegenwart zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass sich die Kilometer summieren würden.

Lief alles nach Plan? Ehrlich gesagt gab es keinen großen Plan, außer dass ich das Las Vegas- Schild so schnell wie möglich erreichen wollte - und genau das habe ich auch getan.

Wie war es, endlich das Las Vegas-Schild zu sehen?

Zweiter zu werden war unglaublich. Noch besonderer war, dass ich nur knapp hinter einer anderen Frau ins Ziel kam.

Die letzten 40 Kilometer nach Las Vegas gehörten zu den härtesten auf der gesamten Strecke. Ironischerweise hatte ich mich auf diesen Teil gefreut. Es geht leicht bergab und ich dachte, ich könnte das Tempo erhöhen, einen Rhythmus finden und die Genugtuung spüren, dem Ziel nahe zu sein. Aber in Wirklichkeit war es eine Qual. Der glühend heiße Asphalt fühlte sich unter den Füßen brutal hart an - als würde er bei jedem Schritt meine Beine zerreißen - und die Hitze war unerträglich.

Als ich schließlich das Ziel erreicht habe, das durch das berühmte „Welcome to Las Vegas“-Schild gekennzeichnet ist, war es seltsam enttäuschend. Das Schild ist bemerkenswert klein - viel kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte.

Es war eine seltsame Mischung aus Stolz und Traurigkeit. Ich hatte so lange auf diesen Moment hingearbeitet und nun war er vorbei. Aber vor allem war ich stolz. Stolz darauf, dass ich mir etwas unglaublich Schwieriges vorgenommen und es geschafft hatte. Nicht wegen der Zeit, nicht wegen eines Podiumsplatzes, sondern einfach wegen der Genugtuung, dass ich über meine Grenzen hinaus gegangen bin.

Die Nachrichten und die Unterstützung, die ich seit meiner Rückkehr erhalten habe, waren unglaublich. Aber es gibt eine Sache, die mir besonders am Herzen liegt: Ich bin eine Frau in den späten 40ern, die seit über 30 Jahren läuft und ich gehe immer noch an meine Grenzen. Ich möchte nicht „für mein Alter“ gelobt werden. Ich möchte nach meiner Leistung beurteilt werden, Punkt. Nicht als jemand, der für sein Alter gut abschneidet, sondern als Läuferin, die etwas Außergewöhnliches leistet - denn genau das habe ich getan.

Wir übersehen oft die Leistungen älterer Frauen im Sport. Ich möchte laut und deutlich rufen, dass ich stolz auf das bin, was ich erreicht habe. Nicht wegen meines Alters, sondern einfach, weil es schwer war und ich es geschafft habe. Das sollte genug sein.

Was glaubst du, könnte dein nächstes Ziel oder deine nächste Herausforderung im Ultralauf sein?

Alles und gleichzeitig nichts fühlt sich für mich gerade anders an. Für die Außenwelt hat sich nichts geändert - das Leben geht weiter wie bisher. Aber die Art und Weise, wie ich mein Leben gestalten werde, hat sich für immer verändert. Es fällt mir schwer, es in Worte zu fassen, aber das Gefühl ist unbestreitbar. Die Ultra-Amnesie fängt an zu wirken, und ich schaue mir jetzt zaghaft die anderen TSP-Solo-Veranstaltungen an, obwohl ich am Las Vegas-Schild gesagt habe, dass ich nie wieder hinfahre.


Möchtest du mehr erfahren? Wir haben die neuesten Tipps und Ratschläge von Experten für das Marathontraining und die Wettkampftage zusammengestellt. In unserer Rubrik Marathon erfährst du mehr über die wichtigsten Fragen und Antworten von Athleten, über Ausrüstungsgegenstände, Ernährungsempfehlungen und vieles mehr!


Willkommen

Wir haben fleißig die neuesten Tipps und Expertenratschläge für das Marathontraining und die Wettkampftage gesammelt. In unserem exklusiven Ratgeber erfährst du alles Wichtige aus erster Hand: Fragen und Antworten zu Top-Marken, exklusive SportsShoes-Tests, Ernährungsratschläge und vieles mehr!

Weiterlesen

Teilen auf

Unsere Highlights

Alles ansehen

Jetzt Newsletter abonnieren

Erhalte exklusive Previews & Angebote

Mit deiner Anmeldung stimmst du unseren AGBs zu. Wir werden deine Daten niemals zu Marketingzwecken an Dritte weitergeben und du kannst den Newsletter jederzeit wieder abbestellen.

Chat

WhatsApp

Cookie-Einstellungen verwalten

DE flag

Ändern

Bestell-Info

Copyright © 2024 B-Sporting Limited | All Rights Reserved.

VISA Debit
VISA
Sofort
MasterCard
Google Pay
American Express
Giro Pay
PayPal
Apple Pay
Klarna